Es ist wohl das erste Mal, dass ich gezögert habe, eine vielversprechende Domain zu erwerben: kollapsjournalismus.de war frei. Aber ich habe erst nach reiflicher Überlegung zugeschlagen (man weiß ja nie). Als ich vor gut drei Jahren anfing, intensiver über Klimajournalismus nachzudenken, war ich erstaunt, dass die entsprechende Domain frei war. Es zeigte mir aber auch, dass das Planetenthema Nummer eins im deutschen Journalismus offenbar noch wenig Interesse geweckt hatte.
Wenige Jahre später ist Klimajournalismus zwar ein etabliertes Konzept, aber weite Teile der journalistischen Branche versagen hier – wie der Rest der Gesellschaft und ihre Institutionen. Was meint Versagen? Journalismus ist eine Sozialtechnik, eine der ältesten zivilgesellschaftlichen Formen, die es als die eigene Aufgabe versteht, Gesellschaft unabhängig Überblick, Kontext und Einordnung zu relevanten Vorgängen zu geben. Es gibt für die Menschheit nichts Relevanteres als den Klimawandel. Der Stellenwert der Klimakrise in den meisten journalistischen Medien in Deutschland wird dem nicht einmal ansatzweise gerecht.
Im Möglichkeitsraum eines ernstgemeinten Klimajournalismus käme zumindest vor, dass die Organisierung der Gesellschaft in der derzeitigen Form nicht aufrechterhalten werden kann. Diese Option, so ungeheuerlich sie klingen mag, wird immer wahrscheinlicher. Warum? Wir steuern auf 2,5 und mehr Grad Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts zu, wie sich unlängst zahlreiche Klima-Wissenschaftler:innen sicher zeigten. Hitzewelle, Extremwetter, Meeresspiegelanstieg, Trinkwasserknappheit, Ernteausfälle, Zusammenbruch von Lieferketten. Wie soll eine Gesellschaft, die bei Klopapierknappheit schon durchdreht, angesichts dessen nicht kollabieren?
Doch die sogenannte Vierte Gewalt, die gerne für sich in Anspruch nimmt, zu sagen, was sei, grübelt lieber weiterhin darüber nach, ob zu viel Berichterstattung über die Klimakrise nicht Aktivismus sein könnte. Exemplarisch dafür steht Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni, der sich im vergangenen Herbst nicht zu schade war, bei einer Diskussion über Klimajournalismus das abgedroschene Diktum vom „sich mit keiner Sache gemein machen“ zu bemühen. Und darauf hinwies, dass bei zu viel Klima der Eindruck der Parteilichkeit entstehen könnte. Klimawandel: Pro und Contra. Das Flaggschiff des ÖRR-Nachrichtenjournalismus ist eben auch nur ein Beiboot des Schweröl-Traumschiffs.
Den Beginn des Kollapses signalisiert der Aufstieg der Faschist:innen überall. Die rechten Nihilisten setzen sich in ihrer Skrupellosigkeit durch; ein Teil des Journalismus bietet ihnen dafür die Bühne. Weil er selbst nicht zu einem Deut bereit ist, seinen Lebensstil zu ändern. Weil er selber rechts ist, aus politischer Dummheit, aus ökonomischen Gründen, aus Angst, aus vorauseilendem Opportunismus. Wie sagte die Ex-Chefin der Berlinale neulich so ehrlich: “… politisch zu agieren, gerade in Zeiten, wo man nicht weiß, wo die Politik sich hinentwickelt, ist ja auch eine große Gefahr.”
Dabei darf sich die journalistische Zunft in Deutschland aktiv für mehr Klimaschutz einsetzen. „Journalismus dient der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“ So steht es jeweils sinngemäß in unterschiedlichen Formulierungen in den Landespressegesetzen. (Inwieweit eine Presse frei sein kann, die jemanden zu dienen hat, steht auf einem anderen Blatt). Ein Verfassungsgerichtsurteil von 2021 hat das Klimaschutzziel des Artikels 20a besagter Ordnung unterstrichen: Paris einhalten, also unter 2 Grad Erderwärmung bleiben. Doch dass die Presse dies als ihre Aufgabe versteht, davon keine Spur: So ist es enttäuschend, aber nicht verwunderlich, dass das jüngst erschienene Plädoyer vom Volksverpetzer kein Wort zur Rolle von Journalismus in der Klimakrise verliert.
Im Idealfall wäre der heutige Journalismus längst ein transformativer Journalismus. Doch die Idee, dass die journalistische Zunft sich zum Motor des Wandels hin zu einer Anti-Erderhitzungssgesellschaft mausert, bleibt eine akademische Denkübung. Die selbsternannte „Mitte“ und ihr Journalismus können aus Egoismus und Scham heraus den Klimawandel und seine Ursachen nur verdrängen: Die maßlose koloniale Lebensweise unserer Konsumgesellschaften auf Kosten anderer.
Braucht es jetzt also so etwas wie Kollapsjournalismus? Friedrich Merz und andere magische Denker:innen würden sagen: Nein. Denn die „Ingenieure und Erfinder“ würden schon dafür sorgen, dass wir die Klimakrise meistern. Irren diese Fantasten, wird aller Journalismus wohl zwangsläufig zu einem Journalismus im Kollaps. In einer Gesellschaft, die sich aktiv auf die sich rapide verändernden Bedingungen für ein demokratisches Zusammenleben vorbereiten, käme dem eine Aufgabe zu. In einer, die sich kollektiv auf die unausweichlichen Folgen der Klimakrise vorbereitet, die Schwächsten schützt und im Kollaps Solidarität und Humanismus bewahrt. Unterstützt von einem Journalismus, der inmitten des Zusammenbruchprozesses versucht, für ein möglichst gutes Leben für die groß möglichste Anzahl an Menschen zu sorgen.
Im Unterschied zum derzeitigen Verdrängungsjournalismus konfrontiert ein Kollapsjournalismus Entscheider:innen mit dem möglichen Zusammenbruch und fordert Auseinandersetzung ein, auch von seinen Leser:innen. Er erkundet, wie Gesellschaften sich entsprechend transformieren können und begleitetet diese dabei. Und nicht zuletzt bietet Kollapsjournalismus Raum für die Furcht vor, für die Verunsicherung durch die Veränderungen. Und gibt der Trauer, um das, was verloren geht, eine Stimme.